«Muntagnola: lukanische Speisen, meine Mutter in der Küche und ein Koffer voller Geschichten»

Auf dieser Welt gibt es Orte und Menschen, die unabhängig davon, wo sie sich befinden, einem zu Herzen gehen. Die Nationalität ist dabei unwichtig. Es sind die Werte, die zählen. Und diese sind so hohe Werte, dass es zu oberflächlich wäre, sie bloß mit dem Italienischsein in Berlin zu begründen. Pino Bianco und Muntagnola, sowohl Name des von ihm betriebenen Restaurants als auch Familienspitzname seiner Mutter, die seit fast 25 Jahren in der Küche des Restaurants thront, gehören zu dieser Kategorie. Die Gelegenheit zu haben, mit ihnen zu reden und ihre mit Sorgfalt und Respekt zur lukanischen Tradition vorbereiteten Speisen zu kosten, ist ein Glück, das einer sich unbedingt gönnen sollte. «1991 habe ich das Lokal eröffnet, nachdem ich viele Jahre als Kellner in Berlin tätig war und auch noch eine Pizzeria betrieben hatte, die einst meinem Vater gehörte. In der deutschen Hauptstadt war ich 1982 zum ersten Mal und war sofort in sie verliebt. Als ich dann mein eigenes Restaurant in der Fuggerstraße 27 eröffnete, hatte ich ein genaues Ziel vor, und zwar die regionale Küche aus der Basilikata nach Berlin zu bringen. Und so bat ich meine Mutter, die bereits Witwe war, darum, nach Berlin zu kommen, um mir zu helfen. Sie war damals 55 Jahre alt und konnte kein Deutsch. Ursprünglich hätte sie nur zwei Monate lang bleiben sollen, aber sie ist doch noch hier und wählt immer noch selber die Speisen aus, die wir hier anbieten».

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Muntagnola

Die Spezialitäten. Ravioli mit Ricotta und Zimt, Strangolapreti mit Butter und Salbei, Gnocchi mit Ricotta, Fusilli mit Brotkrume, Tomatensoße und Sultanine, Lamm bäuerlicher Art, Hammelfleisch auf Schäferart, Salzfilet, Kaninchen mit Bier, Bruschetta mit Bottarga, Miesmuscheln, hausgemachtes Brot, Büffelmozzarella und Burrata, Bohnen mit Chicorée, Caponata, Garnelen mit Zucchini und Minze, gebackene Fische, gegrillte Scampi, Pecorino mit hausgemachter Marmelade, Cannoli mit Ricotta, Panna cotta mit Basilikum, Pizza usw. Die Speisekarte ist so reich und die angebotenen Speisen so höher Qualität, dass Pino und seine Mutter bereits zwei Rezeptbücher in Deutschland veröffentlicht haben, damit diese Rezepte niemals verloren gehen. «Es klingt vielleicht absurd, aber die Küche bestimmter italienischen Regionen wird manchmal besser in einigen italienischen Restaurants im Ausland aufgehoben als in Italien selbst. Wenn man hier populär ist, wie z.B. in meinem Falle als typisch lukanisches Restaurant, versucht man eher, sich auf alte Traditionen zu konzentrieren, anstatt sich zu erneuern. Somit entdeckt man die Geschmäcke der Vergangenheit wieder, die oft mittlerweile in Vergessenheit geraten sind». Die Speisekarte von Muntagnola wechselt wöchentlich. «Aber manchmal sogar täglich. Es gibt manche Speisen, die immer auf der Karte stehen, aber die Mehrheit unserer Spezialitäten hängen von der Jahreszeit und vom konkreten Angebot der Märkte und unserer Lieferanten ab. Wir sind stolz darauf, was wir hier servieren. Wenn ein ausländischer Gast einige Orecchiette auf dem Teller übrig lässt, sollte ich Zeit haben und der Gast mir zuhören wollen, nehme ich ihn in die Küche mit, um ihm zu zeigen, dass meine Mutter die Orecchiette einzeln in Handarbeit herstellt. Nicht immer wird man sich über die Arbeit klar, die hinter einer Speise steckt. Unsere deutschen Kunden sind sehr neugierig, lieben es, Neues auszuprobieren, sind offen und wollen immer mehr wissen. Ich stelle sie einfach zufrieden».

Es ist die Mutter, die Muntagnola, die einkaufen geht. «Sie spricht immer noch kein Deutsch, aber sie braucht es nicht. Morgens, wenn sie es sich zutraut, nimmt sie den Einkaufswagen und geht einkaufen. Sie ist immer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, sie ist unabhängig. Dann kehrt sie zum Restaurant zurück und beaufsichtigt die ganze Arbeit, obwohl seit einigen Jahren ein zusätzlicher Koch bei ihr steht, damit sie selber entscheiden kann, wann sie arbeiten möchte und wann es die Zeit ist, sich eher auszuruhen. Aber der Chef in der Küche ist immer noch sie. Sie heißt Angela, aber ihr Spitzname lautet “Muntagnola”, der so was Ähnliches wie “Bergbewohnerin” bedeutet. Der Spitzname wurde ihr von meinem Vater zugeschrieben. Er stammte nämlich aus der Küstegegend, sie hingegen aus dem Hinterland: Seiner Ansicht nach war sie also “eine Bergbewohnerin”».

Claudio Abbados Liebe für Muntagnola. «Im Laufe der Jahre haben hier Dutzende von Prominenten aus dem Schauspiel und der Politik gegessen, u.a. der ehemalige Kanzler Gerhard Schröder, aber die Seele dieses Restaurants ist eng mit Abbado verbunden. Als er Direktor der Berliner Philharmoniker war, war Muntagnola wie ein zweites Zuhause für ihn. Jedes Mal, oft nach einem Konzert, kam er mit Freunden und Bekannten hierher, die fast immer im Musikbereich tätig waren. Ihn abends immer wieder hier am gleichen Tisch zu sehen war für uns Ursache großen Stolzes und großer Freude». Für Pino ist das Restaurant Ausgangspunkt vieler anderen Projekte, sowohl sozialen als auch kulturellen: «Bei uns finden Lektüren, kleine Filmfestivals, Konzerte, die sowohl mit der Basilikata als auch mit Italien im Allgemeinen verbunden sind, statt. Seit vielen Jahren essen einige Schüler einmal in der Woche hier zu Mittag. Vor einiger Zeit gab es in einer von den Schulklassen Kinder, die an AIDS litten, und für sie haben wir ein Buch geschrieben und veröffentlicht, um Geld einzusammeln, um ihnen zu helfen». 2007 hat Pino Bianco zusammen mit anderen Mafia? Nein Danke gegründet, eine Organisation gegen die Mafia, die infolge der Mafiamorde von Duisburg und der Schutzgelderpressungen, die an Muntagnola und andere italienische Restaurants in Berlin gerichtet wurden, entstanden ist. «Sie kamen zu zweit, aber die Bande bestand aus drei Menschen. Ich war im oberen Stockwerk, zu Hause. Sie hinterließen ein Blatt am Tresen, in dem sie darauf hinwiesen, dass man Schutz braucht, und nicht bloß von Heiligen. Ich rief andere Restaurantbetreiber an, die in denselben Tagen die gleiche Drohung bekommen hatten. Ich zögerte nicht und zeigte alles der Berliner Polizei an. Nach mehreren Wochen Ermittlungen wurde die Bande festgenommen. Sie galt wahrscheinlich als Vorposten für die Mafia, um zu prüfen, ob es fruchtbaren Boden für sie gab. Ich fürchtete mich nicht, aber ich habe keine Kinder und war nur für mich verantwortlich. Andere, wie z.B. mein Bruder, Begründer vom Restaurant Il contadino sotto le stelle hier in Berlin, hatten mehr Mut als ich. Seitdem haben wir beschlossen, vorsichtig zu sein, und die Kollektivität bezüglich der Mafiaerpressungen zu sensibilisieren. Darum bin ich einmal im Jahr Gast der Berliner Handelskammer, um darüber zu sprechen, was damals passiert ist, um andere Italiener und alle Restaurantbetreiber unabhängig von ihrer Nationalität dazu zu treiben, den Institutionen zu vertrauen und alles sofort anzuzeigen».

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Das politische Engagement von Pino Bianco. 1957 in Montalbano Ionico geboren, wählte Pino die deutsche Hauptstadt nach langen Umwegen aus. «Ich hatte immer ein neugieriges Wesen. In den 80er Jahren war ich Abgeordneter im Stadtrat meiner Heimatstadt. Bevor ich nach Berlin kam, lebte ich in Mailand, Paris und Amsterdam. Die Gastronomie ist etwas, was mich begeistert, und für mich entspricht sie einer Form von Kultur». Pinos Geschichte ist eng mit Berlin verbunden. «Am 9. November 1989 war ich schon in der Stadt. Ich arbeitete als Kellner in einem Restaurant. Wir hörten die Nachrichten im Radio, schlossen den Laden und gingen direkt zur Mauer. Die DDR-Posten, die immer ganz drohend ausgesehen hatten, schienen plötzlich sehr passiv: Dies ist das Bild von jenem Tag, das sich in meinem Gedächtnis am stärksten eingeprägt hat. Man feierte und weinte. Die Aufregung ließ nach einigen Tagen, Wochen und Monaten allmählich nach. Es tauchten soziale Probleme auf, die die Vereinigung mit sich brachte, da sie alle kulturellen und ökonomischen Unterschiede, die sich im Laufe von mehr als 40 Jahren Trennung gebildet hatten, enthüllte. Nur am Ende der 90er Jahre fing die Stadt wieder an, ihr Gleichgewicht zu finden. Der Osten wurde zur coolen Zone der Stadt, was alle, die ein Lokal im Westen hatten, selbstverständlich nicht so große Freude bereitete. Aber nun ändert sich der Trend schon wieder und Schöneberg und Charlottenburg gelten als sehr lebendige Bezirke, sowohl im geistigen als auch im kreativen Sinne». Die Flitterwochen mit Berlin waren nie zu Ende: «Berlin verändert sich stetig, aber ist immer noch die Stadt der Zukunft. Und die Berliner, mit all ihren Schwächen, sind Menschen, die diejenigen preisen, die sich Mühe geben, hart arbeiten und immerhin Wert auf Qualität und darauf, was gut für die Kollektivität ist, legen. Wenn ich heute mit Stolz über mein Restaurant sprechen kann, ist es, weil ich immer ein Romantiker gewesen bin. Ich bin immer der Meinung gewesen, dass wenn man sein Geschäft gut voranbringt, kehrt irgendwas Positives immer zurück. Somit habe ich die harten Zeiten mit dem Restaurant überwindet und schaue weiter mit Optimismus in die Zukunft, da ich davon überzeugt bin, dass es weitere Überraschungen geben wird, die ich für immer im Gedächtnis behalten werde».

Trattoria a’ Muntagnola

Fuggerstraße 27, 10777 Berlin-Schöneberg (U-Bahn-Station Wittenbergplatz)

Öffnungszeiten: jeden Tag, 17.00-24.00

Tel. +49 (0)30 2116642

Mail: trattoria@muntagnola.de

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La Muntagnola ist Mitglied des Netzwerks True ItalianMehr Infos: trueitalian.top