„Irgendjemand muss den Wahnsinn doch aufhalten!“ Filmkritik zu Elser
13 Minuten hätten den Holocaust vielleicht verhindern können: 13 Minuten früher als geplant hat Hitler eine NSDAP-Veranstaltung im Münchener Bürgerbräukeller verlassen. Wäre er nur ein wenig länger geblieben, hätte er wahrscheinlich an jenem Abend im November 1939 sein Leben bei einem Attentat verloren. Die Bombe ging hoch, acht Menschen starben, nur war der Führer nicht darunter. Gebaut hat die Bombe Georg Elser, ein schwäbischer Werkzeugmacher, der schon früh das grenzenlose Unheil ahnte, das Hitler wenig später über die Welt bringen sollte.
Eigentlich ist es ein Skandal, das Elser nicht längst zum Nationalheld erklärt worden ist. Das könnte sich mit Oliver Hirschbiegels gleichnamigem Film nun ändern. Der primär im Ausland tätige deutsche Regisseur hatte fast ein Jahrzehnt keinen Auftrag mehr aus Deutschland angenommen. Dann fiel ihm das von Fred Breinersdorfer und dessen Tochter Léonie-Claire Breinersdorfer geschriebene Drehbuch in die Hände. Hirschbiegel stimmte sofort zu: „Ich habe immer gesagt: Wenn ein deutscher Stoff kommt, der mich fesselt, dann bin ich sofort dabei,“ sagt er im Interview.
Entstanden ist ein absolut sehenswerter Film, der vor allem bei einem deutschen Publikum starke Reaktionen auslösen dürfte: Stolz auf einen aufrechten Menschen, der Zivilcourage, Mut und Weitblick besaß. Zugleich wirft „Elser“ aber auch die Frage auf, warum nicht viel mehr Menschen versucht haben, Hitler zu stoppen, bevor es zu spät war. Dabei war Elser nicht mal ein besonders politisch denkender Mensch. Alle Ideologien waren ihm suspekt. Als sich seine Freunde der Kommunistischen Partei anschlossen und NSDAP-Mitglieder attackieren wollten, hielt Elser sich abseits: „Gewalt hat noch nie was gebracht!“ Es muss ihn sehr viel Überwindung gekostet haben, den Anschlag auf den Führer zu verüben – wohlwissend, dass dabei auch andere ihr Leben verlieren würden.
Interessant ist die Frage, warum Georg Elser – anders als die Geschwister Scholl oder die Attentäter des 20. Juli – bislang nur wenigen ein Begriff ist. Der plausibelste Grund ist, dass man lange Zeit Verschwörungstheorien hinter Elsers Tat wähnte. Ihm wurde zum Beispiel nachgesagt, im Auftrag der Briten gehandelt zu haben. Andere waren der Ansicht, der Führer selbst hätte das Attentat eingefädelt – um daraus als unverwundbar hervorzugehen. Eine noch lebende Verwandte von Elser hat sich bis heute nicht in ihre Heimat zurückgetraut, sie lebt im bayrischen Exil. Den beiden Drehbuchautoren erzählte sie, sie sei ihr Leben lang für ihre Herkunft aus dem „Elser-Stall“ geschmäht worden und hätte sich deswegen geschämt. Die Dreharbeiten hätten sie jedoch dazu verleitet, noch einmal über ihre Geschichte nachzudenken. Sie habe nun die „Schnauze voll“ und würde sagen: “Ich bin stolz darauf!“
Das kann sie auch sein: Hirschbiegel zeigt einen sensiblen, stolzen, seinen Werten stets treu bleibenden Menschen. Elser wird festgenommen und von Gestapo-Angehörigen gefoltert. Sie wollen ein Geständnis aus ihm herauspressen und erfahren, wer seine Komplizen waren. Elser lässt sich nicht brechen – auch nicht, als er körperlich und psychisch so schwer misshandelt worden ist, dass ihn nur noch der Tod erlösen könnte. Sein aufrechter Charakter imponiert Arthur Nebe, einem seiner Peiniger. Nebe wird später zum Kreis der Attentäter des 20. Juli gehören. Es ist anzunehmen, dass die Begegnung mit Elser ihn zum Umdenken verleitet hat.
Ähnlich grausam wie die Tatsache, dass Hitler 13 Minuten zu früh den Saal verließ, ist der Umstand, dass Elser um ein Haar mit dem Leben davon gekommen wäre. Die Nazis ließen ihn noch lange am Leben, weil man sich wertvolle Informationen von ihm versprach. Spätestens als Elser auf dem Papier deutlich machen konnte, wie genau er – und nur er allein – die Bombe gebaut hatte, war klar, dass es sich bei diesem Mann um ein Genie handelte. Am 9. April 1945 ließ Hitler ihn dann doch erschießen. Wenige Tage darauf war das Ende des Kriegs schon absehbar. Am 30. April nahm Hitler sich das Leben.
Filmstart: 9.4.2015
„Elser” lief bereits auf der diesjährigen Berlinale in der Kategorie „Außer Konkurrenz“