Schnitzler seziert die Seele: “Das weite Land” am Deutschen Theater Berlin
Wenn man im Theater die Augen schließt, um sich einzig und allein auf den Text zu konzentrieren, stimmt etwas nicht. Bei Jette Steckels Inszenierung von Arthur Schnitzers Tragikomödie „Das weite Land“ (Uraufführung 1911 am Wiener Burgtheater) ist leider Einiges schief gelaufen. Die enttäuschende Darbietung der Schauspieler vermag es nicht, der Tragik des Gesprochenen Ausdruck zu verleihen. Die Darsteller wirken wie Schatten ihrer selbst. Der Zuschauer gewinnt den Eindruck, vielmehr einer der ersten Proben beizuwohnen: Die Texte sind mittlerweile auswendig gelernt, aber die Identifizierung mit den Charakteren will noch nicht recht klappen.
Zu hölzern werden Schnitzlers Worte rezitiert, zu gewollt wirkt die Bestürzung der Figuren in tragischen Passagen. Obwohl die Textfassung viele schillernde und komplexe Charaktere aufweist, überzeugt in Steckels Inszenierung nur eine Figur: Anna Drexler spielt Erna Wahl, den jüngsten und zugleich klügsten Charakter. Sie überzeugt durch Lebendigkeit und Authentizität. Drexler gibt Schnitzers Worten eine eigene Note. Ihr frecher Jungmädchen-Charme kontrastiert die überwiegend farblose Darbietung ihrer Mitspieler. Dr. Franz Mauer, einen ihr lästigen Verehrer, hebt sie hoch wie eine Puppe. Der Mann ist derart irritiert, dass es ihm die Sprache verschlägt, was Erna mit einem spöttischen Lächeln kommentiert.
Das Beste an der Inszenierung ist das Bühnenbild. Es besteht ausschließlich aus Sofas, und zwar gleich mehreren Dutzend. Alle Szenen werden von einem gigantischen, ungefähr zehn Meter hohen schwarzen Sofaberg überschattet. Die von ihm ausgehende Gefahr des Einsturzes untermalt die sich immer stärker zuspitzende Handlung. Aufgeschichtet ist er auf einer Drehbühne, die sich unablässig in Zeitlupe dreht. Der vordere Teil der Bühne bewegt sich dagegen nicht. Immer wieder verlassen die Charaktere den statischen, scheinbar sicheren Boden unter ihren Füßen und geraten auf den rollenden Abschnitt. Mitten im Gespräch werden sie voneinander fortgetrieben, sie rollen und rollen und wollen den Absprung nicht so recht schaffen.
Das Sich-Nicht-Festlegen-Wollen zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung des Fünfakters (Steckel hat auf den dritten Akt allerdings komplett verzichtet). Schnitzler siedelt seine Tragikomödie im Wiener Bildungsbürgertum um die Jahrhundertwende an. Schauplatz der Handlung ist eine ländliche Gegend vor den Toren Wiens. Hier versammelt sich die vornehme Gesellschaft zur Sommerfrische. Es wird geliebt, betrogen und gelitten. Hoffnung gibt es so gut wie keine, alle Figuren bewegen sich unablässig am Abgrund entlang.
Interessanter als die Handlung ist jedoch der psychoanalytische Blick Schnitzlers. Dafür bewunderte ihn sein Zeitgenosse Sigmund Freud: Schnitzler (der selbst Arzt war) gelänge in seinen Stücken Diagnosen, für die er, Freud, jahrelang habe forschen müssen. Eine Lösung für das Unglücklichsein weiß jedoch auch Schnitzler nicht. Vermutlich spricht der Autor selbst, als er einen seiner Charaktere sagen lässt: „Wir versuchen wohl, Ordnung in uns zu schaffen, so gut es geht, aber diese Ordnung ist etwas Künstliches… Das Natürliche… ist das Chaos. Ja – mein guter Hofreiter, die Seele…ist ein weites Land.“
Bedauerlicherweise ist es Steckel nicht gelungen, die anspruchsvolle Textgrundlage („Das weite Land“ ist zweifelsohne eines von Schnitzlers Meisterwerken) gekonnt umzusetzen. Fast gewinnt man den Eindruck, sie (sowie ihr Ensemble) sei vom Können des Meisters eingeschüchtert gewesen. So hat sie den Text fast eins zu eins umgesetzt. Derweil hätte eine eigene Handschrift der Inszenierung gut getan.
Premiere am Deutschen Theater: 12. Dezember 2014
Regie: Jette Steckel
Bühne: Florian Lösche
Kostüme: Pauline Hüners
Musik: Mark Badur
Dramaturgie: Anika Steinhoff
Besetzung: Felix Goeser, Maren Eggert, Ulrich Matthes, Almut Zilcher, Ole Lagerpusch, Bernd Stempel, Simone von Zglinicki, Anna Drexler, Helmut Mooshammer, Katrin Klein
Nächste Termine:
15. April 2015, 20.00 – 22.50 Uhr
16. Mai 2015, 19.30 – 22.20 Uhr
Schumannstraße 13a, 10117 Berlin
Photo (C) Arno Declair