Flüchtlingsunterbringung in Deutschland – von katastrophalen bis hin zu kreativen Lösungen
Die Stadt Schwerte bringt Flüchtlinge auf dem Gelände eines ehemaligen Außenlagers von Buchenwald unter. Die Verzweiflung in anderen Städten ist ähnlich groß. Eine Berliner Initiative zeigt jedoch, dass es auch anders geht.
In Auschwitz wird der Befreiung durch sowjetische Truppen gedacht. Auch an anderen Orten – wie zum Beispiel in Buchenwald – werden Gedenkfeiern abgehalten. 70 Jahre sind vergangen. Das viel beschworene „Nie wieder!“ verliert mit jedem Völkermord, dem der Westen tatenlos zusieht, an Glaubwürdigkeit (was nicht heißen soll, dass der Holocaust mit anderen Verbrechen gleichgesetzt werden könnte oder sollte). Während man die Bewegung anfangs noch als nicht ernst zunehmende Versammlung von Spinnern und Gescheiterten abzutun versuchte, gewinnen Pegida und ihre Ableger stetig an Zulauf. Es kommt immer öfter zu fremdenfeindlichen Ausschreitungen. Im Kino empören wir uns in dem soeben angelaufenen Film „Wir sind jung. Wir sind stark.“ über den fast tödlich geendeten Angriff auf ein Rostocker Asylantenheim im Sommer 1992.
Nur sieht die Stimmung in nicht wenigen Nachbarschaften heutzutage leider nicht bedeutend anders aus. Die jüdische Bevölkerung fühlt sich vielerorts nicht mehr sicher. Der Polizeischutz vor Synagogen und jüdischen Schulen wurde seit den Pariser Attentaten erneut verstärkt. Kurzum: Die Schreckensherrschaft der Nazis ist überwunden, die fehlende Toleranz Menschen anderer Herkunft oder Religionszugehörigkeit gegenüber gehört jedoch keineswegs der Vergangenheit an. Vom Krieg verfolgte, zum Teil sehr schwer traumatisierte Menschen suchen bei uns Zuflucht, nachdem sie ihr Leben bei gefährlichen Mittelmeerüberquerungen auf das Spiel gesetzt haben. Von Deutschland versprechen sie sich Schutz, Gerechtigkeit und ein Leben in Würde. Was viele von ihnen hier vorfinden, ist das genaue Gegenteil.
19.1.2015: „Zu viele Flüchtlinge – Buchenwald macht wieder auf“ titelt eine italienische Zeitung. Was wie ein schlechter Scherz klingt, ist traurige Realität. Die bei Dortmund gelegene, 46.000 Einwohner fassende Stadt Schwerte hat sich soeben (gegen lautstarke Proteste zahlreicher Flüchtlingsorganisationen wie gegen die Kritik der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, SPD) mit ihrem Vorhaben durchgesetzt, Flüchtlinge in einer Baracke unterzubringen, die auf einem Gelände steht, das als Außenlager zum Konzentrationslager Buchenwald (circa 56.000 Tote) gehörte. Inhaftiert waren hier um die 700 französischen und polnischen Zwangsarbeiter, die die Nazis zu nicht selten tödlich verlaufenden Arbeitseinsätzen im Reichsbahnausbesserungswerk Schwerte-Ost nötigten. Ein in seiner Brutalität kaum zu übertreffendes Denkmal erinnert an die schreckliche Historie dieses Ortes. Der Bildhauer Horst Wegener hat mehrere Häftlingsschicksale in Stein gemeißelt: Die Gefangenen liegen mit weit aufgerissenen Mündern und großen, leeren Augen unter einer Schienentrasse – sie scheinen schreien zu wollen, doch an Ohnmacht, körperlicher Ausbeutung und schierer Verzweiflung zu ersticken.
Die neue Flüchtlingsunterkunft befindet sich nur wenige Meter entfernt. Es ist nicht verwunderlich, dass die Entscheidung der Stadt Schwerte (der alle im Stadtrat vertretenen Parteien mit Ausnahme der Linken zugestimmt haben) weltweit für großen Aufruhr gesorgt hat – sogar Zeitungen in Neuseeland und Indien haben berichtet. Bürgermeister Heinrich Böckelühr (CDU) zeigte sich von dieser Resonanz überrascht. In einer Presseerklärung verteidigte er seine Entscheidung als „sachgerecht“. Ziel sei es, eine dezentrale Unterbringung zu gewährleisten (ergo von einer Unterbringung in Schulen, Heimen oder Zeltstädten abzusehen), weil das die Integration fördere. Wie genau sich die elf, soeben in ihrem neuen Quartier eingezogenen Männer (die unter anderem aus Marokko und Guinea stammen) integrieren sollen, ist noch unklar: Ihr neues Zuhause ist circa fünfzehn Autominuten vom Stadtzentrum entfernt, in der Nachbarschaft ist lediglich ein Vereinsheim vorhanden, von einem Supermarkt keine Spur. Zehn weitere Zuzügler sollen in Kürze folgen.
Gelebte Willkommenskultur sieht anders aus. Wenn sie jedoch nicht nur ein bloßes Lippenbekenntnis bleiben soll, muss sich die Bundesregierung schleunigst eine Lösung einfallen lassen. Zuallererst müssen die Kommunen entlastet werden. Denn momentan sind sie für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig, organisatorisch wie finanziell. Vizekanzler Gabriel hat vor kurzem gefordert, die Finanzierung dem Bund zu übertragen. Dies wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. Denn immer mehr Städte sind – ähnlich wie Schwerte – schlichtweg überfordert: Sie sind pleite und wissen oft einfach nicht mehr, wohin mit den vielen Neuankömmlingen. Dazu ist das Baurecht äußerst kompliziert und erlaubt bislang nur in Ausnahmefällen die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften in Gewerbegebieten beziehungsweise die Nutzung leer stehender Gebäude. Zurzeit arbeitet die Regierung an einer Gesetzesänderung. Die genannten Probleme dürfen jedoch nicht als Entschuldigung für den unsensiblen Entschluss der Stadt Schwerte gelten. So groß kann die Not nicht sein, als dass man nicht eine andere Lösung hätte finden können.
Von einer derartigen Verzweiflung zeugende Entscheidungen unterstreichen den Ernst der Lage. Augsburg hat ähnliche Pläne wie Schwerte erwogen; in München sind Ende letzten Jahres knapp 200 Flüchtlinge im VIP-Bereich des Olympia-Stadions einquartiert worden; außerdem wurde überlegt, auf Oktoberfestzelte auszuweichen. In Köln wurden die Neuankömmlinge in einem leer stehenden „Praktiker“-Baumarkt untergebracht, und in Hamburg sollen Flüchtlinge schon bald die ersten Wohnschiffe beziehen. In Berlin lässt die Kreuzberger Bürgermeisterin Monika Herrmann (Die Grünen) zurzeit prüfen, ob leer stehende Ferienwohnungen nicht als Flüchtlingsunterkünfte genutzt werden können. Die IKEA-Stiftung hat in Zusammenarbeit mit UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, nun sogar ein eigenes Flüchtlingshaus konstruiert, das Bedürftige laut Herstellerangaben in nur vier Stunden und ohne jegliches Werkzeug selbst errichten können; ausgestattet ist es mit Solarzellen, und halten soll es ungefähr drei Jahre. Ein Zelt (das nur hab so viel kostet) geht dagegen oft schon nach sechs Monaten kaputt und stellt vor allem im Winter keine geeignete Unterkunft dar. Aufgestellt wurden die ersten IKEA-Flüchtlingshäuser vor kurzem im Grenzgebiet zwischen Äthiopien und Somalia – sollte die Testphase erfolgreich verlaufen, wäre ein Einsatz auch schon bald bei uns denkbar.
Der Zustrom der zu uns flüchtenden Menschen wird so schnell nicht abnehmen, ganz im Gegenteil. Das bedeutet, dass wir schnellstmöglich Lösungen finden müssen – für praktische Fragen wie Unterbringung, Integration, Arbeitsmarktzugang genau wie für eine stärkere Akzeptanz in der Bevölkerung. Bundespräsident Gauck hat in seiner Rede zur Befreiung von Auschwitz deutliche Worte gefunden: Man müsse sich “jeder Art von Ausgrenzung und Gewalt entgegenstellen und jenen, die vor Verfolgung, Krieg und Terror zu uns flüchten, eine sichere Heimstatt bieten“. Eine auf dem Gelände eines ehemaligen Arbeitslagers errichtete, weit entfernt von der nächsten Stadt liegende Baracke hat den Namen „Heimat“ doch gewiss nicht verdient. Sollte man nicht seinem Nächsten nur das zumuten, was man für sich selbst als zulässig empfindet?
Ein Kollektiv aus Berliner Studenten hat aus Frust über mangelnde politische Antworten kurzerhand eine Initiative namens „Flüchtlinge willkommen“ gegründet, durch die frei stehende WG-Zimmer an Flüchtlinge vermittelt werden. Die gemeinnützige Organisation kann die Finanzierung nicht übernehmen, jedoch den Kontakt zu möglichen Sponsoren herstellen beziehungsweise durch Crowdfunding das nötige Geld für die Miete auftreiben (Interessierten wird angeboten, sich schon durch drei Euro monatlich an den Mietkosten zu beteiligen). Wer lediglich einen Gemeinschaftsraum wie ein Wohnzimmer oder gar eine Küche als Schlafplatz anbieten möchte, wird freundlich abgewiesen. Auf der Website heißt es dazu: „Wir möchten, dass der geflüchtete Mensch unter den gleichen Bedingungen lebt wie die anderen Mitbewohner. Aus diesem Grund geben wir nur Anmeldungen weiter, bei denen der geflüchtete Mensch ein eigenes Zimmer zur Verfügung hat.“ Mitte Januar hatten sich deutschlandweit bereits circa 300 WGs angemeldet, und das nach noch nicht einmal drei Monaten Bestehenszeit des Projektes.
Es tut gut zu wissen, dass es mutige Menschen gibt, die tolle Ideen haben und gleichzeitig die Durchsetzungskraft besitzen, diese trotz harten Widerstandes zu realisieren. Sie verdienen unsere Unterstützung. Gelingen Projekte wie „Flüchtlinge willkommen“, können wir uns vielleicht peu a peu einen Ruf als zuwanderungsfreundliches, tolerantes Land aufbauen und dem schalen, bisher lediglich auf dem Papier existenten Begriff der „Willkommenskultur“ ein wenig Leben einhauchen.