Hollywood goes East Africa: „Das Mädchen Hirut“ von Zeresenay Berhane Mehari
In „Das Mädchen Hirut“ erzählt die Regisseurin Zeresenay Berhane Mehari die wahre Geschichte einer Menschenrechtsaktivistin in Äthiopien, die sich nachhaltig für die Frauenrechte in ihrem Land einsetzt. Sie nimmt sich der vierzehnjährigen Hirut an, die auf dem Heimweg von der Schule von einer Gruppe Männer entführt wird, um sie anschließend mit einem ihrer Entführer zu verheiraten. Hirut wird eingesperrt und vergewaltigt. Als sich ihr Peiniger ihr erneut nähern will, greift sie in Notwehr zur Waffe und erschießt ihn. Die aufgebrachte Dorfgemeinschaft verlangt ihren Tod.
Die Anwältin Meaza Ashenafi, Gründerin der Frauenrechtsorganisation Andenet, wird im Radio auf Hiruts Fall aufmerksam und entscheidet sich dafür, die in Lebensgefahr schwebende Hirut vor Gericht zu vertreten. Noch bevor die offizielle Gerichtsverhandlung beginnt, beschließt der Ältestenrat die lebenslange Verbannung des Mädchens aus seinem Dorf. Seine Anwältin wendet sich Hilfe suchend an das Justizministerium. Als sich der Justizminister weigert einzuschreiten, verklagt ihn Ashenafi. Wider Erwarten gewinnt sie den Prozess. Hirut wird freigesprochen, der Fall geht unter dem Namen „Fall 217“ in die Annalen ein. Mittlerweile ist Hirut erwachsen und setzt sich selbst für Frauenrechte ein.
Die traditionellen, in ländlichen Gegenden Äthiopiens (sowie in zahlreichen anderen afrikanischen Ländern) häufig praktizierten, justitiell oftmals nicht geahndeten Brautentführungen finden nach Hiruts Freisprechung für die nächsten zehn Jahre in ihrem Dorf nicht mehr statt. In ganz Äthiopien ist ein starker Rückgang zu beobachten, was zu einem großen Teil Ashenafis unermüdlichem Einsatz zu verdanken ist. Dafür wurde sie 2003 mit dem Hunger Award, einer Art afrikanischem Friedensnobelpreis, ausgezeichnet. „Das Mädchen Hirut“ kam 2014 in die äthiopischen Kinos. Einen Monat lang waren alle Vorführungen restlos ausverkauft. Das Thema könnte nicht aktueller sein: Der Fall der letzten April von Boko Haram entführten 200 nigerianischen Mädchen (von denen nach wie vor jede Spur fehlt), zeigt, dass Frauenrechte in vielen Teilen der Welt noch immer mit Füßen getreten werden.
Die aus Äthiopien stammende, in den USA lebende Regisseurin Mehari konnte Angelina Jolie, die sich seit vielen Jahren als UNHCR- und UNICEF-Botschafterin engagiert, als Ko-Produzentin gewinnen. Das merkt man dem Film allerdings auch an: Er erinnert stark an eine Hollywood-Produktion. So packend der Inhalt ist, so konventionell ist seine Erzählweise. Mehari gelingt es, die Spannung ganze neunzig Minuten aufrecht zu erhalten. Es ist unmöglich, sich von der unglaublichen Geschichte Hiruts nicht mitreißen zu lassen. Die Regisseurin schafft eine große Nähe zu ihrer Protagonistin, deren große, Krokodilstränen vergießende Augen ansteckend wirken. Alle Charaktere sind allerdings nur oberflächlich entwickelt. Sie gewännen an Tiefe, hätte die Regisseurin (die bereits ein gleichnamiges Buch geschrieben hat, auf dem der Film beruht) sie stärker kontrastiert. Stattdessen arbeitet sie zu stark mit Schwarzweißmalerei – die Guten und die Bösen stehen einander unversöhnlich gegenüber. Bereits nach wenigen Minuten ist klar, wer auf welche Seite gehört.
Die emotionale Manipulation des Zuschauers wirkt störend und mindert den realistischen Anspruch des Films. Darüber können auch die majestätischen Landschaftsaufnahmen nicht hinwegtrösten. Allerdings macht der Film große Lust, sich näher mit der Geschichte und Kultur Äthiopiens auseinanderzusetzen. Manchmal reicht es vielleicht schon, wenn sich das Kino auf seine Hauptaufgabe beschränkt: mitreißende Geschichten zu erzählen.
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