Belluscone: Wie sich Politik und Mafia liebkosen und der Cavaliere mit unter der Decke steckt

Der Zeitpunkt hätte nicht besser gewählt sein können: An dem Tag, als Franco Marescos neuer Film Belluscone zum ersten Mal einem deutschen Fachpublikum vorgestellt wird, verkündet Berlusconi, in die Politik zurückkehren zu wollen. Den Prozess um „Rubygate (auch „Bunga-Bunga-Prozess“ genannt) hat der 78-jährige soeben in letzter Instanz gewonnen. Er war beschuldigt worden, mit Minderjährigen gegen Geld Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Außerdem sind zwei Anklagen wegen Bestechung gegen ihn erhoben worden; die Ermittlungen laufen noch. Wegen Steuerbetrugs ist Berlusconi bereits schuldig gesprochen worden. Die Richter hatten wegen seines fortgeschrittenen Alters auf eine Haftstraße verzichtet, den Beschuldigten jedoch zu einem Jahr Sozialdienst verpflichtet. Seinen Dienst in einem Altenheim hat Berlusconi soeben beendet. Die Ausübung öffentlicher Ämter ist ihm zwar noch bis 2019 untersagt, scheint aber durch seinen jüngsten Freispruch zumindest wieder denkbar geworden zu sein.

Als die Nachricht des Freispruchs an diesem Abend über die Fernsehbildschirme flackert, dürfte es in italienischen Wohnzimmern wieder zu hitzigen Diskussionen kommen. Für viele Italiener wäre ein Comeback des Cavaliere eine große Schande für ihr Land; andere dürften sich nichts sehnlicher wünschen. Die Beliebtheit Berlusconis hat in den letzten Jahren vor dem Hintergrund von „Rubygate“ und anderen Skandalen zwar abgenommen, ist jedoch nach wie vor nicht zu unterschätzen. Schließlich stand die Mehrheit knapp zwanzig Jahre hinter ihm.

Regisseur Maresco versucht in seinem Film „Belluscone” den Ursachen dieser Liebe auf den Grund zu gehen. Seine Suche führt ihn nach Sizilien, wo Maresco geboren wurde und wo Berlusconi bis zu seinem Rücktritt 2011 einen beispiellosen Rückhalt genoss. Gegipfelt ist die Bewunderung der Sizilianer für ihren „Belluscone“ (wie Berlusconi im Volksmund liebevoll genannt wird) im Jahre 2001, als Forza Italia (die vom Cavaliere gegründete Partei) in 61 von 61 sizilianischen Wahlkreisen als stärkste Partei aus den Parlamentswahlen hervorging. Sizilien traut man mit seinen 4,4 Millionen Wählern immer wieder zu, Wahlergebnisse kippen zu können.

Die Gründe für den immensen Erfolg von Forza Italia in Sizilien sind bereits in der Anfangszeit der Partei zu suchen. Aus der Vernehmung mehrerer reuiger Mafiosi geht hervor, die sizilianische Mafia-Organisation „Cosa Nostra“ hätte 1994 nicht nur ihre Zustimmung zur Gründung von Forza Italia gegeben, sondern diese sogar miteingefädelt. Ziel sei es gewesen, eine Partei zu etablieren, die die Haftbedingungen für Mafia-Angehörige verbessert und die Beschlagnahmung deren Eigentümer durch den Staat gestoppt hätte. Außerdem habe die Mafia der neuen Partei das Versprechen abverlangt, den Super-Boss Bernardo Provenzano nicht festzunehmen.

Berlusconi ist bislang wegen Verbindungen zur Mafia nicht verurteilt worden; allerdings hat ein Gericht die Existenz solcher Verbindungen indirekt bestätigt. Mittelsmann zwischen Berlusconi und „Cosa Nostra“ soll der Palermitaner und Berlusconi-Vertraute Marcello Dell’Utri gewesen sein. Berlusconi soll sich über einen Zeitraum von zehn Jahren mit circa vierzig Millionen Euro das Stillschweigen Dell’Utris erkauft haben. Viele seiner Geschäfte in der Baubranche (denen Berlusconi einen Großteil seines auf über 7 Milliarden US-Dollar geschätzten Wohlstands zu verdanken hat) scheinen nur mit Einverständnis der Mafia möglich gewesen zu sein.

Diese Verwicklungen sind überall nachzulesen und den meisten Italienern hinlänglich bekannt. Die, die sie nicht wahrhaben wollen, tun sie als „Verschwörung der kommunistischen Justiz“ ab. Anderen sind die Skandale des Cavaliere schlichtweg egal. Sie sind der festen Überzeugung, während seiner Amtszeit sei es ihnen besser gegangen. Es hätte mehr Arbeit gegeben, und der Cavaliere hätte sich auch sonst um ihre Probleme gekümmert. Im Ausland unvorstellbar, in Italien bittere und weit verbreitete Realität.

Maresco sucht sich für seine Recherche Brancaccio aus, einen Stadtteil Palermos, der für hohe Dichte „Cosa Nostra“-Mitglieder berüchtigt ist. Der Pfarrer Pino Puglisi bezahlte sein Engagement gegen die Mafia 1993 mit dem Leben. Einen sehr engen Draht zu den Bossen hat Ciccio Mira, Protagonist von „Belluscone“. Der betagte Herr (ein ehemaliger Friseur und Sänger) nimmt zweifelhafte, „neomelodisch“ genannte Popmusik auf und organisiert Straßenfeste. Das Wort Mafia will ihm einfach nicht über die Lippen gehen. Ebenso fremd ist ihm Kritik an Berlusconi.

Maresco interviewt zwei dieser Popsternchen, die sich ebenfalls in den höchsten Tönen über den Cavaliere äußern. Letztendlich entbrennt ein Streit zwischen ihnen über die Urheberrechte an einem Lied, das Berlusconi gewidmet ist. Maresco gedenkt, das Lied zweckzuentfremden und in durchaus spöttischer Manier für seinen Film zu nutzen. Als der eine Sänger davon Wind bekommt, blockiert er Monate lang den Dreh: Einer Verunglimpfung des Cavaliere könne er nie und nimmer zustimmen.

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Maresco, mindestens so sehr investigativer Journalist wie Filmemacher, interviewt ferner Besucher eines sizilianischen Nachtclubs. Von einem Abkommen zwischen Staat und Mafia wollen sie alle noch nie etwas gehört haben. Ihren Cavaliere halten sie für unfehlbar. Als sie gefragt werden, was sie mit den Daten 19.7.1992 und 23.5.1992 (den Todestagen der beiden Anti-Mafia-Richter Borsellino und Falcone) in Verbindung bringen, schütteln sie den Kopf oder nennen geben an, es handele sich um ihren Hochzeitstag. Dann lächeln sie entschuldigend und wenden sich wieder der Tanzfläche zu.

Am beeindruckendsten wäre wohl Marescos Interview mit Dell’Utri gewesen, wäre nicht genau an jenem Tag, auf den Maresco monatelang hingearbeitet hatte, der Ton ausgefallen. Das Fiasco markiert einen Wendepunkt für den Regisseur. Freunde erzählen in „Belluscone“, diese Niederlage habe monatelange Depressionen bei Maresco ausgelöst. Als Grund für seinen Rückzug vermuten sie aber auch, Maresco könnte durch seinen kritischen Film Probleme mit der Mafia bekommen haben. Einer seiner engsten Freunde, der Filmkritiker Tatti Sanguineti, macht sich irgendwann so große Sorgen, dass er von Mailand nach Sizilien reist, um nach Maresco Ausschau zu halten. Fündig wird er nicht. Seine Suche bildet jedoch den Haupterzählstrang des Films. Eigentlich handelt es sich genau genommen um einen Film über das Filmemachen. Sanguinetis als Voice-Over eingeblendete Stimme bettet die zahlreichen Interviewsequenzen in einen Kontext ein, liefert Informationen über Maresco und baut Spannung auf mit dem Verschwinden desselben.

Trotz dieser Erklärungen erschließt sich dem ausländischen Zuschauer die Handlung mit ihren diversen Subtexten leider nur teilweise. Ein bestimmtes Vorwissen wäre nötig, um die Sprengkraft bestimmter Aussagen einiger Interviewter noch besser verstehen zu können. Viele Sequenzen sprechen jedoch in der Tat für sich: Als Maresco Ciccio bittet, das Wort „Staat“ zu definieren, schüttelt letzterer nur den Kopf. Daraufhin suggeriert der Fragesteller „Der Staat existiert also nicht.“ Diese Aussage bejaht Ciccio. Andere Gesprächssequenzen sind weniger plakativ und müssten (vor allem für ein ausländisches Publikum) kommentiert werden. Leider bleibt auch das Ende der Handlung unklar. Maresco wird nicht gefunden von seinem Freund Tatti. Der Film kommt jedoch trotzdem zustande. Wer ihn letztendlich fertig gestellt hat und wie Maresco seine Probleme mit der Mafia lösen konnte, wird nicht aufgeklärt.

Bedauernswert ist auch der etwas spöttische Blick des Filmemachers auf die kleinen Leute, die er interviewt. Gezeigt werden Sequenzen, in denen sich die Befragten blamieren. Sie tun ihr Unwissen kund, in dem sie Worte falsch aussprechen („Foklore“ statt „Folklore“) oder den Namen Berlusconis nicht ganz zusammen bekommen. Auf den Aufnahmen sind dann oft die Reaktionen des Fragestellers Maresco enthalten, der dieses Unwissen belustigt kommentiert. Leider wird die Lebenswelt der Interviewten kaum gezeigt. Die große Armut, in der die meisten von ihnen leben, die hohe Arbeitslosigkeit und das allgemeine Fehlen jeglicher Perspektiven kommen zu kurz. Für eine ausgeglichene Perspektive wäre dies jedoch wichtig.

Trotz dieser Schwächen lohnt es sich, sich „Belluscone“ anzusehen. Gerade dadurch, dass er mehr Fragen aufwirft als dass er Antworten gibt, regt er zum Nachdenken und Nachforschen an. Sollte der Cavaliere tatsächlich in die Arena zurückkehren, bleibt dem geneigten Zuschauer bis 2019 schließlich noch etwas Zeit, seine Lücken zu schließen.

Filmstart: 23.04.2015